Im Frühjahr 2020 kam es auf dem Cannstatter Wasen zu einem Angriff auf Teilnehmer einer Querdenken-Demonstration. Laut Staatsanwaltschaft soll eine Gruppe von 20 bis 40 vermummten Personen aus der linksradikalen Szene, drei Mitglieder der rechten Betriebsratsliste „Zentrum Automobil“ (ZA) am Rande der Demonstration angegriffen haben. Dabei wurde der ZA-Funktionär Andreas Ziegler so schwer verletzt, dass er für mehrere Wochen im Koma lag. Zum Jahrestag des Angriffs versammelten sich deshalb am 16. Mai 2021 etwa 80 – 90 Personen, des extrem rechten Spektrums, um an die Tat zu erinnern.

Mobilisierung und Organisation

Facebook Screenshot: Christina Baum mobilisierte zu der Veranstaltung

Als Organisatorin der Kundgebung trat Christiane S., die aktuelle Lebensgefährtin von Andreas Ziegler, auf. Sie tritt auch als Gast-Autorin im extrem rechten Compact-Magazin auf und berichtet über den laufenden sogenannten „Wasen-Prozess“ am Oberlandesgericht in Stuttgart-Stammheim, der gegen zwei Tatverdächtige geführt wird.
Die Mobilisierung zu der Kundgebung fand recht kurzfristig statt. Gerade einmal eine Woche vor der Veranstaltung tauchten erste Flyer im Netz auf, das Motto der Aktion: „Feigen Terror als Antifaschismus zu bezeichnen ist Heuchelei – Stoppt linke Gewalt“. Ein später veröffentlichter Flyer zeigt ein Soli-Transparent mit der Aufschrift „Solidarität mit Andreas Ziegler“. Dieses wurde von der NPD-Aktivistin Marina Djonovic gemalt. So ist es wenig verwunderlich, dass die anfängliche Mobilisierung zu der Kundgebung zunächst im Umfeld der NPD stattfand. Aber auch die Identitäre Bewegung Stuttgart bewarb die Veranstaltung auf ihrem Instagram-Account „Kessel Revolte“, sowie einzelne Präsenzen der AfD.


Redner*innen

Obwohl die NPD stark zu der Kundgebung mobilisierte, stand sie selbst nicht auf der Redner*innenliste. Insgesamt sprachen acht Personen auf der Kundgebung. Neben zwei Vertretern des „Zentrum Automobil“ standen gleich drei AfD-Abgeordnete am Mikrofon:
  • Christiane S. (Organisatorin der Kundgebung)
  • Christian Schickart (stellv. Vorsitzende des Zentrum Automobil)
  • Dirk Spaniel (AfD-MdB)
  • Michael Lindner (Zentrum Automobil Betriebsrat in Sindelfingen)
  • Malte Kaufmann (AfD – Bundestagskandidat)
  • Michael Stecher (Fellbach wehrt sich / MSR Aufklärung)
  • Christina Baum (AfD – Bundestagskandidatin)
  • Rolf M.

„Gegen Antifa-Terror“ – Die gesamte Rechte vereint?

Zu der Kundgebung mit fast 100 Personen fanden sich eher ungewöhnliche Allianzen der extremen Rechten zusammen. Die Vertreter*innen versammelten sich zwischen der Porsche-Arena und dem Mercedes-Benz-Museum – am Ort des damaligen Geschehens.
„Für Volk & Heimat – Antifa-Terror entgegentreten“ stand auf einem Transparent der Neonazi-KleinstparteiDer III. Weg“, die mit sechs Personen erschienen war. Die Identitäre Bewegung (IB) wiederum tauchte ebenfalls mit einer handvoll Personen auf, jedoch ohne Banner oder ähnliche Erkennungszeichen. Der IB-Aktivist Paul Klemm begleitete die Veranstaltung mit seiner Kamera – später veröffentlicht er einen Artikel im Compact-Magazin. Für einen Youtube- und Telegram-Kanal, der sich im Reichsbürger- und Querdenken nahen Umfeld ansiedelt, drehte eine weitere Person ein Video. Neben den drei Opfern des Angriffs und den beiden Rednern des Zentrum Automobil, fand nur ein weiterer bekannter Funktionär der rechten Betriebsratsliste den Weg nach Cannstatt. Von der NPD waren etwa ein duzenden Aktivisten angereist, darunter alte Bekannte wie Jan Jaeschke, Matthias Brodbeck und Alexander Neidlein, der NPD-Bundesgeschäftsführer. Die AfD war unter anderem mit Einzelpersonen aus den Kreisverbänden Stuttgart und Nürtingen vertreten. Ansonsten war auch das übliche AfD-Schutzpersonal anwesend, welches allerdings nicht die Ordner und Ordnerinnen der Kundgebung stellte. Doch auch ohne die Aktivisten der AfD wiesen die Ordner*innen Bezüge ins extrem rechte Milieu auf. So beteiligte sich einer der Ordner in der Vergangenheit an Aktionen neonazistischer Gruppen.
Lange hielt die gemeinsame Aktion jedoch nicht an: bereits wenige Minuten nach Veranstaltungsbeginn forderte ein Ordner die Gruppe vonDer III. Weg“ zum Gehen auf. Dann nach der zweiten Rede packte auch die NPD ihre Transparente ein und verlies geschlossen die Kundgebung. Mit ihr im Schlepptau etwa 30 Personen. Damit schrumpfte die Kundgebung fast auf die Hälfte ab.
In einem Bericht beschreibt der „III. Weg“ die Situation wie folgt:
„Auf Druck mehrerer Redner, welche alle einer gewissen blauen System-Partei angehören, wurden unsere Aktivisten gebeten, die Kundgebung zu verlassen. Dies nahmen weitere Nationalisten zum Anlass, um sich mit unseren Aktivisten zu solidarisieren und verließen die Veranstaltung ebenso. Die Schuld hierbei trifft aber keineswegs die Vertreter der Gewerkschaft, sondern allein die blauen Systemlinge.“

Fazit

Aus verschiedenen Gesichtspunkten war diese Veranstaltung für Baden-Württemberg einzigartig. Eine fast dreistellige Teilnehmer*innenzahl auf einer reinen Szenekundgebung ist in Baden-Württemberg inzwischen sehr selten. Solche Beteiligten-Zahlen werden sonst meist nur auf größeren AfD-Kundgebungen erreicht. Erstaunlich war auch, der hohe Mobilisierungsgrad der NPD, welcher in den letzten Jahren stätig eher in Richtung Null tendierte. Trotz der hohen Anzahl an Personen, aus dem NPD Umfeld waren keine „junge Leute“ dabei, sondern ausschließlich alte Bekannte, die reaktiviert worden sind.
Das ungewöhnlichste an der Kundgebung war sicherlich die Zusammensetzung der verschiedenen Gruppen und Personen. Zuvor war eine gemeinsame öffentlich getragene Aktion der AfD mit NPD und Co. noch undenkbar gewesen. Auch wenn die AfD sich während der Kundgebung von den anderen extrem rechten Parteien distanzierte, könnte dies für manche ein Startschuss für zukünftige gemeinsame Aktionen gewesen zu sein.