Auswertung der Wahlen vom 26. Mai 2019 in Baden-Württemberg

Am 26. Mai 2019 fanden auch in Baden-Württemberg die Wahlen zum Europaparlament und für die Kommunalparlamente statt. Besonders die extrem rechte Partei AfD errang dabei laut Zählung des APABIZ mindestens 257 Mandate [1].

Der Wahlkampf der AfD

Die AfD hat zu den Kommunalwahlen mit über 1.669 Personen kandidiert [1], die meisten davon offenbar Parteimitglieder. Nur wenige hatten in ihrer Selbstvorstellung die Zusatzangabe „parteilos“. Bei knapp 5.000 Parteimitgliedern sind über 1.600 fast ein Drittel der Mitglieder, die kandidiert haben. Trotzdem wurden die Listen erkennbar eher mühsam gefüllt. Viele Mitglieder hatten Angst ihre Adresse herzugeben und es wurde versucht diese Notwendigkeit zu umgehen, u.a. gegenüber den Behörden durch Verweis auf eine angebliche Gefährdung oder durch den Versuch Partei-Adressen als Adressen anzugeben, letzteres teilweise mit Erfolg.
Teilweise wurden auch keine Porträtfotos an die Presse gegeben, so dass in den Zeitungen so manche/r AfD-Kandidat/in ohne Bild vorgestellt wurde.
Möglicherweise auch aus Angst um ihre Karriere haben weniger Junge und dafür viele Rentner/innen kandidiert.

Briefkastenwurfsendung der AfD zur Europawahl

In vielen Kreisen und Gemeinden wurde von der AfD ein eigenes Wahlprogramm erstellt, um sich ein kommunalpolitisches Profil zu geben. Inhaltlich waren diese teilweise den Bundesprogrammen ähnlich, also wendeten sich z.B. gegen Flüchtlingsunterbringungen oder Moscheebauten.
Andere wieder waren inhaltlich aber nicht als output einer extrem rechten Partei erkennbar und gingen eher auf lokale Themen (z.B. Verkehr) ein.

Da die Plakate der AfD von ihren Gegner/innen häufig zerstört werden, wurde erkennbar weniger plakatiert. Einzelne Kreisverbände behaupten stattdessen in zehntausendfacher Auflage mit Wurfsendungen geworben zu haben. Nachprüfbar war das aber nicht.
Es gab in Form von Beschwerden im Kommentarbereich von AfD-Facebook-Präsenzen auch Hinweise auf SMS-Werbung. Hier ist vollkommen unklar, wie die AfD an die geografisch eingegrenzten Adressen gekommen ist.
Es gab weniger Werbung über Wahlplakate und Großplakate. Auch die Propaganda-Unterstützung durch den in Stuttgart beheimateten „Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und der bürgerlichen Freiheiten“ blieb diesmal aus.

AfD Kundgebung gegen Dieselfahrverbote am 02.02.2019 in Stuttgart

Intern ist die AfD in Baden-Württemberg gerade ziemlich zerstritten und hatte auch den Spendenskandal zu verdauen. Beides sorgte für Unmut an der Basis. Es gab Berichte dass es in der Partei eine gesunkene Motivation für den Straßenwahlkampf gab.
Auffällig war auch das mit wenigen Ausnahmen im Wahlkampf keine Demonstrationen stattfanden. Allerdings ist die Südwest-AfD ohnehin kaum besonders Bewegungspartei-affin. Ausnahme war die AfD Stuttgart, die eher erfolglos versuchte das Thema Dieselfahrverbote zu besetzen, ihre Kundgebungen gegen die Dieselfahrverbote in Stuttgart wurden aber von nichtrechten Demonstrationen zu diesem Thema regelmäßig im Verhältnis 1:10 überflügelt.

Ankündigungsflyer einer AfD Wahlkampfveranstaltung in Pforzheim mit der FPÖ

Die Wahlkampfveranstaltungen wurden weitgehend mit AfD-Personal bestritten. In Baden-Württemberg fanden sich nur zwei Ausnahmen:
* Am 3. Mai 2019 fand im Congress-Centrum Pforzheim in Pforzheim eine AfD-Veranstaltung „Für ein Europa der Freiheit“ mit Prof. Dr. Jörg Meuthen (AfD-MdEP), Dr. Alice Weidel (AfD-MdB) und Johann Gudenus (FPÖ) statt.
* Am 14. Mai 2019 fand laut Ankündigung in Lörrach eine AfD-Veranstaltung mit Anian Liebrand (SVP) aus der Schweiz statt.

 

Kommunalwahlen in Baden-Württemberg

Die AfD errang bei den Kommunalwahlen in Baden-Württemberg 5,6% der Stimmen, wo sie antrat. Das waren insgesamt 1,9% der Stimmen.

Auffällig waren dabei dass es sowohl Hochburgen als auch ‚Niedrigburgen‘ gab, deren Verhältnisse sehr auseinander klafften. Bis auf den Kreis Pforzheim (14,9%) errang die AfD bei den Kreistagswahlen nur einstellige Ergebnisse. In den Kreisen Heilbronn-Stadt (9,7%), Göppingen (9,1%) und Mannheim (9,2%) kratzte sie an der Grenze zum zweistelligen Ergebnis.

Interessanterweise ist die AfD nicht nur im ländlichen Raum stark, wie es ja bei Rechten häufig der Fall ist, sondern mit Mannheim und Pforzheim in zwei Städten, in denen sie auch zur Landtagswahl 2016 ihre beiden Direktmandate in Baden-Württemberg holte.

In den Kreisen Biberach und Ravensburg trat die AfD aus unbekannten Gründen nicht an.

‚Niedrigburgen‘, in denen die AfD unter 5% blieb waren die Kreise Alb-Donau-Kreis (1,8%) Breisgau-Hochschwarzwald (4,9%), Emmendingen (4,1%), Freiburg (3,6%), Heidenheim (2,8%), Konstanz (2,2%), Ludwigsburg (2,9%), Sigmaringen (3,7%), Tübingen (1,5%), Tuttlingen (3,6%), Ulm (1,7%) und Waldshut (4,4%).

Wenn die AfD eher schwach war, kann hatte das auch seine Ursache mit darin haben, dass man bei gefüllten Listen mehr Stimmen abräumen kann und es der AfD in einigen Kreisen noch nicht einmal gelungen ist in einigen Unterwahlkreisen überhaupt Kandidat/innen aufzustellen.

Deswegen ist der Blick auf die Europawahlen teilweise aussagekräftiger (siehe weiter unten).

Zu den Gemeinderats- und Ortschaftsratwahlen kandidierte die AfD in etwa 70 Gemeinden. In vielen Gemeinden kandidierte sie im Vergleich zu 2019 zum ersten Mal. Nur vereinzelt trat sie in Gemeinden nicht an, in denen sie bereits 2014 kandidiert hatte (Sachsenheim, Korntal, Fellbach).

 

Europawahlen in Baden-Württemberg

Insgesamt erreichte Baden-Württemberg 9,9% der Stimmen und war damit leider das westdeutsche Bundesland mit dem besten AfD-Wahlergebnis.

Auch hier gab es wieder relativ unterschiedliche Wahlergebnisse. Die Ergebnisse reichten von Freiburg (5,3%) als ‚Niedrigburg‘ bis zu Pforzheim (17,6%) als Hochburg.

Neben den generellen Schwierigkeiten überhaupt die AfD zu den Kreistagswahlen anzukreuzen, gab es möglicherweise auch andere Ansätze für die Differenz zwischen den Ergebnissen zwischen den Ergebnissen der AfD bei der Europawahl und bei den Kommunalwahlen.

Evtl. werden lokale Wählervereinigungen und die Freien Wähler von vielen AfD-Wutwähler/innen nicht als ‚verbraucht‘, ‚links‘ oder mit der Großen Koalition identifiziert und damit als Alternative zur AfD gesehen. D.h. man macht bei den Freien Wählern XY sein Kreuz bei den Kommunalwahlen, wählt aber bei den Europawahlen AfD.

Außerdem gibt es Wahlforschungsergebnisse nach denen die Europawahlen bei vielen als weniger wichtig wahr genommen und deswegen für experimentelles und symbolisches (Protest-)Wählen verwendet werden.

Laut SWR wählten bei der Europawahl 33% der Arbeiter/innen die AfD. Wobei unklar ist, wie genau diese Kategorie vom SWR definiert wurde [2].

 

Erklärungsansätze

Nach unserer Einschätzung muss bei den stark differenten Wahlergebnissen besonders nach lokalen Faktoren zur Erklärung gesucht werden.

Beispielsweise bei der AfD-Hochburg Pforzheim wären die Ansätze zu suchen in einer unterentwickelten antifaschistischen Gegenwehr, in der höheren Sichtbarkeit der AfD als andernorts oder in den speziellen Wahlerfolgen in der relativ großen Spätaussiedler/innen-Community in Pforzheim, die von der AfD gezielt und erfolgreich angesprochen wurde.

Weiterhin ist Pforzheim eine alte Republikaner-Hochburg, was aber für sich genommen noch nichts erklärt. Es können aus Gründen der Demografie auch nur teilweise die alten Republikaner-Wähler/innen sein, die jetzt zur AfD gewandert sind. Denn schon damals die Republikaner waren alte, weiße Männer und die dürften nun zum Teil bereits verstorben sein. Es scheint eher eine intergenerationelle Vererbung von Wahlverhalten zu geben.

Von Interesse wäre auch der religiöse Faktor. Anscheinend hat die AfD in eher katholisch geprägten Regionen schlechter abgeschnitten als in eher evangelisch geprägten Regionen. Bei früheren Wahlen hat die AfD in pietistischen Hochburgen nochmal besser abgeschnitten.

Zu schauen wäre auch nach der regionalen, medialen Darstellung der AfD in der dominierenden Tagespresse. Wurde die AfD als eine Partei unter anderen dargestellt oder als die extrem rechte Partei, die sie ist?

Die AfD hat in Kreisen mit einer relativ großen linksliberalen Bevölkerungsteilen wie Freiburg oder Tübingen erkennbar deutlich schlechter abgeschnitten. Hier war sie auch im Gegensatz zu ihren Hochburgen im Straßenwahlkampf mit Plakaten oder Infoständen weniger sichtbar. In den Städten Freiburg oder Tübingen wären Infostände auch schnell auf Gegenprotest aus dem linksalternativen, studentischen Milieu gestoßen.

Manchmal macht eine sehr kleinteilige Wahlanalyse Sinn, denn auch in den Kreisen selbst gibt es Hochburgen und ‚Niedrigburgen‘.
So wurde beispielsweise die AfD in dem Karlsruher Stadtteil Oberreut mit 21,9% zur stärksten Partei gewählt. Die Ursachen scheinen in der lokalen Prägung des Stadtteils zu liegen.

Im Vergleich von Europawahl 2019 (9,9%) zur Landtagswahl 2016 (15,1%) hat die AfD ein Drittel weniger Stimmen erhalten. Möglicherweise waren die Spendenskandale um die beiden Baden-Wutbürger Meuthen (Kandidat Nr. 1 zur Europawahl) und Weidel auch für einige ehemalige AfD-Fans der Grund sich diesmal der AfD zu verweigern.
Die erreichten knapp 10% zur Europawahl dürften inzwischen den Stamm an Wutwähler/innen darstellen, den die AfD trotz aller Skandale in Baden-Württemberg mobilisieren kann.

 

Ausblick

Die AfD sitzt nun in fast allen Kreistagen (125 Mandate, davon nur 12 an Frauen) und in zahlreichen Gemeinderäte (120 Mandate, davon nur 9 an Frauen) in Baden-Württemberg. Sie ist dabei sich im Vergleich zu den Ergebnissen 2014 mehr in der Fläche zu verankern.
Unter den auf den Listen der AfD Gewählten finden sich einige alte Bekannte. In Ulm wurde z.B. der Bankräuber und Ex-FAP/NPD-Mitglied Markus Mössle als Parteiloser auf einer AfD-Liste in den Gemeinderat gewählt.
Andernorts wurden Mitglieder rechter Burschenschaften in die Gemeinderäte gewählt oder ehemalige Mitglieder christlich-fundamentalistischer Kleinstparteien. Es sollen auch (Ex-)Aktivisten der Identitären über das AfD-Ticket in kommunale Vertretungen gelangt sein. Eine Beweisführung ist schwierig, da die Identitären ja keine offizielle Mitgliedschaften haben.
Das Gros der Gewählten hat aber bisher kein bekanntes politisches Vorleben.
Einige politische Positionen lassen erwarten dass in den Kommunen linke, migrantische und muslimische Projekte (Jugendhäuser, Gruppen) von der AfD thematisiert und politisch angegriffen werden sollen.
Es ist noch unklar, welchen Schaden die AfD hier anrichten kann. Diesen Schaden wird sie weniger direkt verursachen, sondern eher indirekt, also das nach einer Thematisierung durch die AfD Dritte von den Angegriffenen abrücken
Ob es bei diesen Themen oder anderen in einigen Orten zu informelle Allianzen der AfD mit FDP, FW oder CDU kommt, bleibt abzuwarten.

 

Sonstige rechte Parteien

Jenseits der AfD fanden sich nur wenig andere rechte Parteien, die auf kommunaler Ebne kandidiert haben. Die NPD trat erfolglos in Mannheim an und verlor ihren dortigen Sitz und ebenso den Sitz im Kreistag von Böblingen. Dafür errang sie einen Sitz im Gemeinderat von Sinsheim, den Marco Kister besetzt.
Die NPD-Liste „Deutsche Liste Weinheim“ errang im Gemeinderat von Weinheim einen Sitz für den verurteilten Holocaustleugner Günter Deckert und der ehemalige NPD-Landesvorsitzende Jürgen Schützinger schaffte es mit seiner „Deutsche Liga für Volk und Heimat“ (DLVH) erneut in den Gemeinderat von Villingen-Schwennigen einzuziehen.
Die Republikaner-Abspaltung „Pro Heilbronn“ brachte ihren Vorsitzenden Alfred Dagenbach auch noch einmal in den Gemeinderat.
Die von ehemaligen Republikanern besetzte „Unabhängige Liste Horb“ (UHB) hat zwei Kandidaten in den Gemeinderat von Horb gebracht.
Erfolglos blieben dagegen die Republikaner selbst, die aber auch nur noch im Kreis Esslingen kandidierten, nachdem die Gespräche mit der AfD über eine Zusammenarbeit geplatzt waren.
Die AKP-nahe Partei „Bündnis für Innovation & Gerechtigkeit“ (BIG) kann je einen Kandidaten in die Gemeinderäte von Ebersbach an der Fils, von Neckarsulm und von Backnang entsenden.
In Mannheim, Heilbronn, Bad Wimpfen und Stuttgart scheiterte sie dagegen.
Ebenso schaffte es nicht die offenbar türkisch nationalistische Liste „Bündnis Vielfalt Reutlingen“ [3] in den Gemeinderat einzuziehen.

 

Zum Umgang mit Rechten in kommunalen Gremien existiert eine lesenswerte Broschüre der Rosa-Luxemburg-Stiftung: Tilo Giesbers, Anika Taschke: Rät*innen gegen rechts. Zum Umgang mit menschenfeindlichen Ideologien in kommunalen Gremien, Berlin 2019, Downloadlink: https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/sonst_publikationen/Broschur_Raet-innen-gegen-rechts.pdf

 


 

ANMERKUNGEN

[1] Tilo Giesbers: Kommunalwahlen 2019: extrem rechte Antritte und Mandate, 01.07.19, https://www.apabiz.de/2019/kommunalwahlen-2019-extrem-rechte-antritte-und-mandate/

[2] Vgl. https://www.swr.de/swraktuell/wahl/wahl-bw/europawahl-bw/wahlergebnis-europawahl-2019-baden-wuerttemberg-analysen,wahlergebnis-analysen-100.html

[3] Vgl. https://tuebingenrechtsaussen.wordpress.com/2019/04/26/tuerkische-nationalistinnen-kandidieren-offenbar-in-reutlingen-zum-gemeinderat/